Introduktion und Variationen über "Nel cor più non mi sento" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Niccolò Paganini

Introduktion und Variationen über "Nel cor più non mi sento"

Introduzione e Variazioni für Violine solo
über ein Thema von Giovanni Paisiello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1452

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

Wen man um 1830 zum Weltmeister unter den Geigern gekürt hätte, steht außer Frage: den Italiener Niccolò Paganini. Der Teufelsgeiger von der hageren Gestalt (die einer lebensgefährlichen Erkrankung 1822 zuzuschreiben war), mit dem diabolisch eingefallenen Mund (zurückzuführen auf den Totalverlust seiner Zähne bei einer Operation in Prag 1829), hatte ein untrügliches Gespür dafür, wie man ein Publikum hypnotisierte. Er war der Idealtypus des romantischen Virtuosen: nicht nur Ausführender eigener Werke, sondern auch romantischer Künstler, dessen Faszinosum auf Massen-Suggestion beruhte. In seinen Zuhörerinnen und Zuhörern wusste er die untergründige Saiten anzuschlagen, wusste ihre Begeisterung durch geheime Fäden bis zur Hysterie zu steigern. Selbst die Rockstars von heute hätten von ihm noch Manches lernen können.

Nach dem Zeugnis von Franz Liszt suchte das Publikum nach übernatürlichen Erklärungen für seine Virtuosität. Man glaubte, „dass jene vierte Saite, der er so zauberische Weisen entlockte, der Darm eines Weibes sei, das er eigenhändig erwürgt habe“. Robert Schumann beschrieb weitaus nüchterner, wie planvoll Paganini Massenhysterie erzeugte: „Als ich diesen zuerst hören sollte, meinte ich, er würde mit einem nie dagewesenen Ton anfangen. Dann begann er – und so dünn, so klein! Wie er nun locker, kaum sichtbar seine Magnetketten in die Massen wirft, so schwankten diese herüber und hinüber. Nun werden die Ringe wunderbarer, verschlungener; die Menschen drängten sich enger; nun schnürte er immer fester an, bis sie nach und nach wie zu einem einzigen zusammengeschmolzen, dem Meister sich gleichwiegend gegenüberstellen.”

Anders als durch dieses Phänomen der Massensuggestion ist der Durchbruch des Geigers nicht zu erklären. Lange Zeit hatte er als Orchester- und Quartettgeiger an den napoleonischen Höfen Norditaliens allenfalls provinzielle Erfolge gefeiert und derweil an neuen Effekten gefeilt. Erst 1813 fühlte er sich reif für den Sprung ins große, internationale Konzertleben. Unmittelbar hintereinander gab er zwölf umjubelte Konzerte in Mailand. Von dort gelang ihm der Sprung über die Alpen, wo man ihn bald auch in Paris und London begeistert feierte. In Wien gab er 1828 allein 14 Konzerte in nur vier Monaten. Den kometenhaften europäischen Aufstieg des „Teufelsgeigers“ verglich der alte Goethe mit einem Meteor. Bis 1834 dauerte diese Karriere. Sie endete dort, wo sie begonnen hatte: in Paris und London. Das verwöhnte Publikum in den beiden Weltstädten Europas wollte selbst einem Paganini nicht endlos huldigen. Neue musikalische Götter verdrängten seinen Ruhm.

Wie so viele Virtuosen seiner Zeit schrieb auch Paganini Variationen über Nel cor più non mi sento, eine Arie der schönen Müllerin aus Giovanni Paisiellos Oper La bella molinara. Den Ohrwurm seines Landsmanns verwandelte Paganini in ein Feuerwerk technischer Effekte, was wir freilich nur deshalb bewundern können, weil ein Frankfurter Kapellmeister seine Improvisation aus dem Gedächtnis aufgeschrieben hat: Carl Guhr. 1829 hielt sich Paganini für mehrere Wochen in Frankfurt auf, so dass Guhr die Technik des Genuesers aus nächster Nähe studieren konnte. Diese Beobachtungen veröffentlichte er 1831 in seiner Abhandlung Über Paganinis Kunst, die Violine zu spielen, wo er auch die Paisiello-Variationen veröffentlichte, die er aus dem Gedächtnis niedergeschrieben hatte. Sie zeigen alle technischen Finessen des “Teufelsgeigers”, wie sie Guhr in seinem Buch beschrieben hat: „die eigentümliche Bogenführung, das Pizzicato der linken Hand in Verbindung mit dem Spiel mit dem Bogen, häufige Anwendung des Flageoletts in einfachen wie Doppeltönen, das Spiel auf einer Saite und die Nachahmung des Zusammenspiels mehrere Instrumente.“ Diese theoretische Beschreibung liest sich ebenso leicht, wie die betreffenden Kunstgriffe schwer umzusetzen sind. In den Händen eines Geigenvirtuosen ist diesen Variationen der Effekt sicher.