Flötensonate g-Moll, BWV 1020 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Carl Philipp Emanuel Bach

Flötensonate g-Moll, BWV 1020

Sonate für Flöte und obligates Cembalo g-Moll, BWV 1020 (früher Johann Sebastian Bach zugeschrieben)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 111

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Adagio

3. Allegro

Erläuterungen

Mancher Zuhörer wird sich vielleicht wundern, dass als Komponist dieser schönen, bei Flötisten wie Publikum mit Recht beliebten Sonate BWV 1020 hier nicht Johann Sebastian Bach, sondern sein zweitältester Sohn Carl Philipp Emanuel genannt wird. Als Wolfgang Schmieder 1950 die erste Fassung des Bach-Werke-Verzeichnisses anlegte, galt die Zuschreibung an Johann Sebastian Bach noch als einigermaßen gesichert, weshalb das Werk die Nummer BWV 1020 erhielt. Allerdings hatte bereits Johannes Brahms im 19. Jahrhundert aufgrund des Stils an der Autorschaft von Vater Bach gezweifelt und darauf hingeweisen, dass eine verlässliche Abschrift der Sonate in Wien den zweitältesten Sohn als Autor nenne.

Tatsächlich stammt diese Handschrift von einem professionellen Hamburger Notenschreiber namens Michel, der regelmäßig für Carl Philipp Emanuel Bach arbeitete und ihm das Werk ganz unzweifelhaft zuschrieb. Deshalb und weil auch ein Notenkatalog der Epoche denselben Autor nennt, verwies die Neue Bachausgabe dieses Stück unter die „J. S. Bach fälschlich zugeschriebenen Werke“. Als Komponist gilt heute unangefochten Carl Philipp Emanuel Bach, was auch die überarbeitete Fassung des Bach-Werke-Verzeichnisses von 2000 berücksichtigte. Sie verlieh der Sonate die – allerdings unbequeme – neue Nummer BWV Anh. III 184.

Wir bleiben lieber bei der alten Nummer BWV 1020, übernehmen aber die neue Zuschreibung an Carl Philipp Emanuel Bach. Denn die empfindsame Melodik und der galante rhythmische Schwung der Sonate verweisen eindeutig auf den „Berliner Bach“ bzw. „Hamburger Bach“, wie man Carl Philipp nach seinen beiden Wirkungsstätten nennt: Er war zunächst 1. Hofcembalist Friedrichs des Großen in Berlin und Potsdam, bevor er 1767 als Nachfolger seines Patenonkels Telemann zum städtischen Musikdirektor und Kantor in Hamburg berufen wurde, wo er auch 1788 starb. Geboren wurde er 1714 in Weimar, wo man in der Stadtkirche, der sog. Herderkirche, noch heute den Taufstein sehen kann, an dem er und sein älterer Bruder Friedemann getauft wurden.

Während Friedemann sich als Hauptinstrumente die Orgel und die Geige aussuchte, spielte Carl Philipp neben dem Cembalo und dessen Verwandten, dem Clavichord und dem Hammerflügel, besonders gerne die Flöte. Daher und aufgrund seiner Position als Begleiter des königlichen Flötenspielers in Preußen hat er besonders viele und besonders schöne Flötensonaten geschrieben. In einigen von ihnen ist das Cembalo nur begleitend im Sinne des Generalbasses eingesetzt, in anderen allerdings ist sein Part obligat, d.h. die rechte Hand konzertiert mit der Flöte, während die linke Hand die Begleitung übernimmt.

Die Cembalostimme der g-Moll-Sonate ist ein ausnehmend schönes Beispiel für dieses Prinzip. Daneben eignet sie sich besonders gut, um sie für Harfe zu bearbeiten, denn den ersten Satz eröffnet das Cembalo alleine mit gebrochenen Akkorden, einem sogenannten „Arpeggio“ von dem italienischen Wort „Arpa“ für Harfe. Hier imitiert also das Cembalo den Harfenklang, was die Übertragung besonders leicht macht. Die Flöte tritt erst später hinzu, und zwar mit einem eigenen Thema, das der Bachsohn aus der großen h-Moll-Flötensonate seines Vaters übernahm.

Im zweiten Satz ist die Rollenverteilung ähnlich. Zu stimmungsvollen gebrochenen Akkorden der Harfe tritt die Flöte mit einem lang ausgehaltenen Ton hinzu. Später vereinen sich die beiden Instrumente zu zarten Terzen. Das Ganze wirkt wie eine empfindsame Hirtenmusik – beinahe eine Pastorale für die Weihnachtszeit.

Beinahe ungestüm geht es im Finale zu, wo rauschende Sechzehntel und geradezu wilde Sequenzen das Geschehen bestimmen. Dieser Gestus des „Sturm und Drang“ ist typisch für die
Finalsätze Carl Philipp Emanuel Bachs. Sein Vater dürfte auf diesen Satz des Sohnes stolz gewesen sein, zeigt er doch so manche Parallele zu seinen eigenen Flöten- und Violinsonaten mit obligatem Cembalo, darüber hinaus gründlichen Kontrapunkt, solide Form und originelle Gedanken.